Montag, 10. August 2020
Sans camouflage
Ganz ungeplant – will ich das?
Und zögernd – darf ich das?
Habe ich die Unsichtbarkeit aufgegeben
Und mich gezeigt
Bin aus der Deckung gekommen
Wo ich mich versteckte
Ohne zu wissen
Dass ich gesehen werden will.

Ans Tageslicht getreten
Mein Innerstes ausgepackt
Das Herz
Vor dir
Auf den Tisch gelegt.

Da liegt es nun vor deinen Augen
Es schlägt im Allegro
Für dich.

Nimm die Scheuklappen ab.
Schau hin.



Dienstag, 14. April 2020
Planet der Irren
I.

Seit einem Monat bin ich nun zu Hause. Am 9. März abends erhielt ich einen Anruf einer Kollegin aus dem Schulleitungsteam: „Du hast frei.“ Wie jetzt, frei!? Das Regierungspräsidium Freiburg hat entschieden, dass Lehrkräfte, die im elsässischen Grenzgebiet leben, nicht mehr an ihre Dienststelle kommen dürfen, ebenso wie die dort lebenden Schülerinnen und Schüler, die in Südbaden zur Schule gehen. Coronavirus-Risikogebiet.
Das bedeutete für mich, dass ich in der Woche, in der ich ohnehin schon ausgeplant war wegen einer Abordnung des Kultusministerium, auch nicht an der eigentlich sechsköpfigen Prüfungskommission teilnehmen durfte, in der die neuen Abschlussprüfungen für das kommende Schuljahr erstellt werden sollten. Eine weitere Kollegin war in den Fasnachtsferien im Risikogebiet Südtirol und durfte ebenfalls nicht mitarbeiten. Wunderbar, so dezimiert auf vier, die sich plötzlich vor der Aufgabe sahen, zwei ganz neue Prüfungsformate zu erstellen! Ich fühlte mich ganz schön nutzlos und hatte ein schlechtes Gewissen mit meinen mickrigen Beiträgen, die ich per Mail beisteuern konnte. So funktioniert Kommissionsarbeit nicht. Das ist nicht meine Vorstellung von gewissenhafter und verantwortungsvoller Ausübung meines Berufs.
In der Woche traf ich mich einmal mit einem Freund auf einen Kaffee in Breisach, auf der deutschen Seite des Rheins. Allein das Fahren über die Brücke reichte aus, dass ich mir illegal vorkam. Aber noch durfte ich aus dem Haus. Zum Wochenende hin beschloss Baden-Württemberg, die Grenzen nach Frankreich zu schließen. Nur Berufspendler sowie der Warenverkehr sollten noch nach Deutschland dürfen. Ja, prima! Zur Arbeit durfte ich sowieso nicht mehr, nun auch nicht mehr zu Freunden, die alle ausschließlich in Deutschland leben.
Derweil schloss Frankreich sämtliche Schulen und verhängte eine Ausgangssperre.
Für die Woche, die ich ohnehin schon ausgeplant war, hatte ich bereits Aufgaben für meine Schüler hinterlassen, aber wie stellt man sinnvoll etwas zusammen, wenn man nicht weiß, wie lange die eigene Abwesenheit noch dauern soll? Also überlegt, was zielführende Fernlern-Inhalte sein könnten und diese an die Schule geschickt. „Ich vermute mal, wir werden nächste Woche auch schließen müssen“, sagte mein Schulleiter am Telefon.
Genau so kam es, eine Woche später schlossen auch in Baden-Württemberg die Schulen. Aufgaben bis zu den Osterferien hatte ich schon reichlich übermittelt, doch wieder regte sich das schlechte Gewissen: Ist das genug? Müsste ich noch mehr tun? Wie kann ich Lernerfolge sichern? Sollte ich online Unterricht machen? Und vor allem, wie soll das gehen mit meiner miesen Internetverbindung hier zu Hause? Ganz davon abgesehen, dass vieles, was ich dazu gebraucht hätte, in der Schule war, wo ich nun schon 14 Tage nicht mehr hin durfte.
Die Gemeinschaftsschule, die ich neben meiner Stammschule als Beratungslehrkraft mitbetreue, fragte mich an, ob ich bei einem Treffen der Deutsch-Fachschaft teilnehmen könne, um sie bei der Entwicklung eines Förderprogramms zu unterstützen. Sehr gerne, aber ich darf nicht nach Deutschland einreisen… Dass wir das in zwei Online-Sitzungen trotzdem hinbekommen haben, freut mich, auch wenn der zweite Termin für mich mit reichlich Unterbrechungen und einer unterirdischen Bild- und Tonverbindung verlief. Shitty Internetverbindung, hatte ich das schon erwähnt? In Zeiten von Ausgangssperre und verstärktem Home-Office in Frankreich, noch dazu auf dem Land, trübe Aussichten.
Die VERA 8 Arbeiten meiner Klasse hatte mir meine Schule per Post zugeschickt, so dass ich sie korrigieren konnte. Als es jedoch um das Eintragen der Daten im Portal der Lernstandserhebungen ging, stellte ich fest, dass meine Zugangsdaten in der Schule lagen... Zum Glück war das Sekretariat noch besetzt, so dass ich die benötigte Auskunft erhielt und kurz darauf die Ergebnisse weitermelden konnte, immer mit der Angst im Nacken, dass mein Computer sich verabschiedet, da er nun seit einer ganzen Weile schon häufig abstürzte.
Kaum eine Woche später war es dann auch so weit. Gerade noch eine Mail von der Mutter eines Schülers aus meiner Klasse erhalten, die anfragte, ob es nicht sinnvoll wäre, wenn die Kinder irgendwo eine Rückmeldung zu den Aufgaben bekommen könnten, die sie bearbeitet haben – kompletter Ausstieg meines Rechners, keine Internetverbindung mehr möglich, außer über das Smartphone.
In tagelanger und mühevoller Kleinarbeit Sicherung meiner Daten, Wechsel des Betriebssystems, Wiederherstellung eines arbeitsfähigen Rechners... Immerhin waren die schulischen Dateien alle wieder da, was gerade im Hinblick auf die Noten meiner Abschlussklasse eine Erleichterung war. Meine privaten Textdateien waren allerdings vollständig futsch. Co(rona)-Lateralschaden.
Mein Schulleiter schickte gestern an mich und die beiden anderen Kollegen, die im Elsass leben, eine offizielle Pendlerbescheinigung, die wir ausfüllen und ihm wieder zusenden sollten. Er geht davon aus, dass wir die nach den Osterferien benötigen werden, damit wir wieder zur Arbeit kommen dürfen.
Für mich stellt sich die Frage, was ich mit meinen anderen Dienstorten machen soll. Denn damit darf ich dann nur an meine Stammschule fahren, nicht aber zu Beratungen an die Gemeinschaftsschule einen Ort weiter, geschweige denn zu den Supervisionen im Schulamt.
So viel mal zur Arbeit.

II.

Mein Sohn sollte Ende März noch eine mündliche Prüfung für sein Studium absolvieren, da diese für das Bestehen seiner Orientierungs-Phase noch erforderlich ist. Derzeit ist das nicht möglich, so dass er zumindest erst einmal ordentlich rückgemeldet ist für das nächste Semester, auch wenn ihm die Prüfung noch fehlt. Wie es weitergehen soll für ihn als Einpendler nach Deutschland an die Universität in Freiburg, keine Ahnung.
Meine Tochter mit ihrem Studienort in Erfurt hatte zunächst geplant, vor Ort zu bleiben und sich die bereits gekauften Zugtickets für Ende März bis Ostern rückerstatten zu lassen. Ihr Job an der Erfurter Oper wurde mit der Beschlusslage rund um kulturelle Veranstaltungen jedoch hinfällig. Sämtliche Freundinnen fuhren in den Semesterferien zu ihren Familien nach Hause. Sollte sie wirklich versuchen, ins „Seuchengebiet“ Elsass zu kommen? Und was, wenn sie zu Semesterbeginn wieder nach Erfurt wollte? Am Tag vor ihrer geplanten Zugfahrt erhielt ich einen Anruf von ihr, völlig aufgelöst, dass ihr das ganze Hickhack zu viel sei und sie es nicht aushielte, möglicherweise noch Monate nicht nach Hause reisen zu können. Sie wollte die Reise antreten, und es war ihr egal, dass sie möglicherweise vom Bahnhof Breisach mit ihrem großen Koffer eine Dreiviertelstunde zu Fuß über die Grenze gehen musste. Immerhin hat sie auch die französische Staatsbürgerschaft, einreisen lassen muss man sie also.
Mein ebenfalls im Elsass lebender Bruder bot sich an, sie vom Bahnhof in Freiburg abzuholen, denn als Berufspendler durfte er noch über die Grenze fahren. Obwohl meine Tochter an seinem freien Tag ankam, fuhr er los wie jeden Tag zur Arbeit. An seinem Arbeitsplatz verbrachte er die Zeit bis zur Ankunft ihres Zuges, begab sich dann zum Hauptbahnhof und fuhr anschließend mit ihr im Auto nach Frankreich. „Dringende Familienangelegenheit“ hatte er sowohl auf seiner wie auf ihrer Attestation de déplacement dérogatoire (Ausnahmegenehmigung für das Verlassen der Ausgangssperre) angegeben. Und da sie beide nicht im selben Haushalt leben, musste sie hinter dem Beifahrersitz Platz nehmen, zwecks Sicherheitsabstand und so.
Diese Ausnahmegenehmigung ist hier seit Wochen ständig meine Begleitung, denn man benötigt sie für wirklich alles. Insgesamt gibt es exakt sieben Gründe, wegen derer man ausnahmsweise das Haus verlassen darf, immer unter Angabe der Uhrzeit, zu der man das Haus verlässt:

1. Bewegung zwischen dem Wohnort und dem Arbeitsplatz, sofern Heimarbeit nicht möglich ist (mit Dauerbestätigung des Arbeitgebers) sowie nicht aufschiebbare dienstliche Fahrten.
2. Bewegung, um lebensnotwendige Einkäufe in den von der Regierung zugelassenen Geschäften zu erledigen.
3. Bewegung aus gesundheitlichen Gründen.
4. Bewegung aus zwingenden familiären Gründen, zur Versorgung verletzlicher Personen oder Aufsicht von Kindern.
5. Kurze Bewegung in Wohnortnähe, zur individuellen körperlichen Aktivität, ausgenommen Gruppensport, sowie für die Bedürfnisse von Haustieren.
6. Bewegung im Rahmen einer polizeilichen Anordnung oder zum Aufsuchen polizeilicher Unterstützung.
7. Bewegung zur Wahrnehmung einer richterlichen Anordnung oder zum Erscheinen vor Gericht.

Seither beschränke ich mich also darauf, einmal die Woche Einkäufe zu erledigen. Öfter habe ich allerdings bisher auch nicht eingekauft. Fragen: Was sind lebensnotwendige Einkäufe? Darf ich Feuerzeuggas einkaufen, wenn ich Nichtraucherin bin? Muss ich zum nächsten Supermarkt fahren oder darf ich den Bio-Markt 15 km weiter aufsuchen? Warum wurden Freiluft-Märkte untersagt? Sind die gefährlicher als die Obst- und Gemüseabteilung im Supermarkt?
Da meine Mutter, Witwe, keinen Führerschein hat und hier im Dorf kein Lebensmittelgeschäft ist und auch kein Bus zum Supermarkt fährt, hatte ich sie bisher zum Einkaufen mitgenommen, doch das ist nun nicht mehr möglich, denn wir wohnen ja nicht im selben Haushalt. Also kaufe ich für sie mit ein und bringe ihr anschließend mit einer weiteren Ausnahmegenehmigung für die Versorgung verletzlicher Personen alles vorbei. Fragen: Was macht eine Familienangelegenheit dringlich? Gilt eine noch 67 Jahre alte Witwe mit guter Gesundheit, aber ohne Sozialkontakte als verletzliche Person? Bringe ich meine Mutter in höchste Gefahr, wenn ich anschließend mit ihr noch eine Tasse Kaffee trinke?
Da mein Tanzkurs aktuell flachfällt, erlaube ich mir außerdem, aus Gründen der individuellen Bewegung eine Runde Nordic Walking (ich weiß, Jogging ist cooler, kann ich aber nicht) zu betreiben oder mal ums Dorf zu spazieren. Fragen: Warum darf ich das höchstens eine Stunde lang und nur einmal am Tag? Warum darf ich mich hier, wo sich buchstäblich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, nur in einem Kilometer Umkreis von meinem Wohnort bewegen? Warum ist das Betreten der Wälder verboten? Mache ich mich strafbar, wenn ich trotzdem vom Weg abgehe und im Wald Bärlauch pflücke? Warum darf ich nicht eine Runde mit dem Fahrrad fahren?

Fragen über Fragen. Und noch mehr: Warum sind die Postämter in Frankreich geschlossen? Ich kann zwar Briefmarken online kaufen, aber wie soll ich ein dickes Päckchen für mein Kind in Erfurt in den Briefkasten bekommen? Brauche ich eine Ausnahmegenehmigung, wenn ich meine Mülltonne auf die Straße stelle oder einen Post-Irrläufer bei meinem Nachbarn in den Briefkasten werfe? Muss ich mein Altpapier, Plastik, Dosen, Altglas jetzt über Wochen zu Hause behalten oder darf ich das zur Sammelstelle bringen und in die Wertstoff-Container einwerfen? Und wenn ja, was muss ich dann auf der Ausnahmegenehmigung ankreuzen?

Mal ganz nebenbei: Ich bin Beamtin des Landes Baden-Württemberg und zahle dort meine Steuern. Meine komplette gesundheitliche Versorgung ist dort. Ich war Krebspatientin, doch die Uniklinik Freiburg hat meinen halbjährlichen Nachsorgetermin Anfang April abgesagt. Ich bin Depressionspatientin, auch meine therapeutische Versorgung ist in Freiburg. Das und vieles mehr fühlt sich ganz schön diskriminierend an.

III.

Vergangenen Samstag hielt mein Bruder nach der Arbeit auf dem Edeka-Parkplatz, weil er für meine Mutter Katzenfutter mitbringen wollte. Sie hatte vergessen, mir das tags zuvor auf ihre Einkaufsliste zu setzen. Eine Polizeistreife hielt neben ihm, die Beamten stiegen aus, um mit ihm ein Gespräch zu führen und im Nu versammelten sich Schaulustige: „Guck, der Franzose!“
Als Berufspendler habe er nicht das Recht, sein Auto auf dem Weg von oder zur Arbeit noch einmal zu verlassen, auch nicht als deutscher Staatsbürger. Er dürfe nicht tanken, nicht zur Post, nicht zur Apotheke, nichts einkaufen, selbst in seiner Mittagspause! Er dürfe seinen Arbeitsplatz nur verlassen, wenn er nach Hause fahre.
So wie ihm geht es inzwischen zahlreichen Grenzgängern. Innenminister Strobel gestattet großzügig, dass sie das Bruttosozialprodukt in Baden-Württemberg mit ihrer Erwerbstätigkeit erhöhen, aber dann haben sie gefälligst wieder das Land zu verlassen. Tagsüber auf die Baumwollfelder zum Pflücken und danach zurück an die Kette, wie mein Bruder das ausdrückte. Er kam mit einer Verwarnung davon, beim nächsten Mal aber koste das. Es handle sich dabei auch nicht um eine Ordnungswidrigkeit, sondern um eine Straftat!
In Breisach sind 40 Prozent der medizinischen Pflegekräfte in Arzt- und Physiotherapiepraxen, dem Krankenhaus und den mobilen Pflegediensten wohnhaft im Elsass. Systemrelevant, heißt das jetzt. Trotzdem haben die gefälligst ihre Einkäufe im verseuchten Frankreich zu erledigen und ihren Tank dort zu befüllen, wo das Coronavirus ungehemmt und skrupellos von der Zapfsäule direkt in die Atemwege springt. (Muss ich dazu sagen, dass das ironisch gemeint ist?) Eine Krankenschwester bei mir im Dorf berichtete davon, wie argwöhnisch man inzwischen beäugt werde mit einem französischen Kennzeichen und welchen Anfeindungen sie sich schon ausgesetzt sieht. „Geh doch zurück nach Frankreich! Du wohnst doch da sowieso nur zum Steuernsparen, also bleib gefälligst da! Ihr wolltet da sowieso nur hin, weil die Grundstückspreise günstiger sind, dann habt ihr euch doch entschieden, oder! Ihr kauft uns hier den ganzen Drogeriemarkt leer! Wegen euch Franzosen haben wir jetzt hier Corona! ...“

In der Krise zeigen alle ihr wahres Gesicht. Rechte Dummbatzen schüren Ressentiments und rassistische Abgrenzungsmanöver. Überforderte und kurzsichtige Politiker treffen antieuropäische und nationalistische Entscheidungen und verkaufen diese als alternativlose und solidarische Notwendigkeiten. Pseudoliberale Akademiker sind bereit, klaglos auf Bürgerrechte zu verzichten und richten sich besorgt, achtsam und moralisierend in ihrem Hygge-Heim ein. Kritik wird sofort als unsolidarisch abgestempelt.

Leute, guckt euch doch mal um, wie sich die Gesellschaft gerade verändert! Diese unsägliche Lust am Weltuntergangsszenario, pausenlose Berichterstattung über Ansteckungs- und Todeszahlen, Coronavirus hier, Covid-19 da, Cov-SARS-2 oben, Quarantäne, Tests, Impfstoff, Leichenhallen, Intensivstationen, Beatmungsplätze, Intensivbetten, Patientenverlegung, Mundschutz, Händewaschen, Desinfektionsmittelklau, Virologen, Kontaktverbot, Betretungsverbot, Reiseverbot, Dekrete, Bußgelder, Kurzarbeit, Entlassungen, Firmenpleiten, Todesfalle Pflegeheim, oh Gott, in New York ist ein Säugling mit 6 Wochen an Covid-19 gestorben, in Frankreich eine 16-Jährige ohne Vorerkrankungen, Boris Johnson braucht Intensivpflege, ja, das hat er jetzt vom Händeschütteln, die Drogengangs in Brasilien setzen das Ausgangsverbot in den Favelas knallhart durch, wenn Tracking hilft bei der Eindämmung, dann ist Datenschutz verzichtbar, ach, die paar Wochen zu Hause kann man schon aushalten, du hast doch einen Garten, was beklagst du dich, denk mal an die fünfköpfige Familie im 30-Quadratmeter-Kellerloch, wie jetzt, da sitzt ein 17-jähriger FSJ-ler in Tansania fest, der ist doch selber Schuld, wenn er nicht rechtzeitig zurückgeflogen ist, tja, Pech, wieso soll jetzt dafür der Steuerzahler aufkommen, in der Krise liegt eine Chance, danach werden wir alle bewusster leben, … LEUTE!!!!!!

Um es klarzustellen: Ich komme klar mit der Situation. Ich sehe ein, dass niemand weiß, was die richtige Lösung ist und keiner eine genaue Gebrauchsanweisung für die derzeitige Lage hat. Ich halte mich an die Anordnungen, bin zu Hause, überlege mir genau, wann und wofür ich wirklich unterwegs sein muss. Aber dieses kritiklose Nachbeten, dieses moralinsaure Besserwissen, das unnachgiebige, teils willkürliche Verfügen über meine persönlichen Freiheiten mag ich nicht einfach hinnehmen. Und es stört mich, dass auch im Kreis meiner Freunde so sehr gehadert wird damit, dass ich Kritik übe an dem, was gerade passiert und an der Angemessenheit der Maßnahmen. Wieder einmal denke ich mir, gesunder Menschenverstand ist kein Geschenk, sondern eine Strafe.
Wenn ich den Supermarkt zum Einkaufen betrete, dann bietet sich mir ein absurdes Bild. Die Mehrzahl der Kunden läuft mit Mundschutz und Handschuhen herum, jeder senkt den Blick, niemand lächelt, alle huschen wie Geister durch die Gänge. Mal fehlt Toilettenpapier, mal Küchenpapier, seit Wochen gibt es keine Frischhefe, Toastbrotbestände sind dünn, Butter ist leergeräubert, kein einziges Päckchen Mehl ist mehr erhältlich. Manche Obst- und Gemüsesorten gibt es nur noch in Plastik verpackt, der Brotverkaufsstand im Eingangsbereich ist geschlossen. An der Kasse sitzen die Damen ebenfalls mit Handschuhen und Maske oder einer Art Plexiglasvisier vor dem Gesicht und erzählen einem, man müsse sich die Hände waschen nach dem Einkauf, weil man nun ja ganz viele Waren angefasst habe. Im Ernst? Davon abgesehen, dass ich mir schon immer die Hände nach dem Einkaufen gewaschen habe, rennt da im Markt jeder mit Handschuhen herum, das Personal räumt die Waren mit Handschuhen ein, und ich habe mir vor dem Einkauf die Hände desinfiziert und auch den Griff meines Einkaufswagens. Das hat sogar während meiner Chemotherapie, wenn mein Immunsystem auf Null war, immer funktioniert. Ich habe mir keinen einzigen Infekt in der Zeit zugezogen, ich weiß, was Vorsicht heißt. Arbeitet die Lebensmittelindustrie mittlerweile so unhygienisch, dass sie schon verseuchte Reispackungen, Kakaokartons, Salatgurken und Joghurtgläser anliefert?
So „frisch verseucht“ komme ich von meinem Einkauf nach Hause, räume die Waren aus den Taschen und – sollte ich die jetzt noch desinfizieren? Wer weiß, wer meine Rhabarberstangen noch angefasst hat! Da spielt wohl keine Rolle, dass ich die erst in drei Tagen zubereiten werde und sie dafür schäle, oder? Und das Brot von meinem Bäcker, ist das ein Hygienerisiko? Sollte ich das eventuell noch einmal aufbacken, um es zu sterilisieren? Echt jetzt, das kommt aus dem Holzofen, reicht das für die Keimfreiheit? Und da ich jetzt nach dem Einkauf, so gründlich verkeimt bin, sollte ich natürlich bei meiner Mutter, die gerade staubig und verschwitzt, aber zufrieden aus dem Garten kommt, nicht zu sehr auf die Pelle rücken, am besten nur kurz klingeln und die Tasche vor die Tür stellen. Stimmt‘s?
Ich komme aus dem Augenrollen gar nicht mehr heraus!

IV.

Bleiben Sie gesund. Passen Sie auf sich auf. In jeder Krise liegt eine Chance. Nach Corona werden wir die Welt mit anderen Augen sehen. Bleiben wir zu Hause. Daheimbleiben rettet Leben. Wir sind solidarisch. Wir bleiben zu Hause. Was ist denn die Alternative? Masken für alle! Jetzt nicht nachlassen. Stay Home. Es sind besondere Umstände. Durchhalten. Es kommen wieder andere Zeiten. Es wird alles gut.

Menschen ergötzen sich am Phrasendreschen, in diesen Zeiten sogar die, die mir sonst besonders nahe stehen und die ich dafür schätze, dass sie das eigentlich nicht tun.

V.

September 2022. Die Menschheit fürchtet sich vor dem Entstehen neuer Erreger, die das Leben bedrohen können.
Die Touristik-Industrie ist zum Erliegen gekommen. Seit der Corona-Krise haben alle Regierungen weltweit untersagt, dass Menschen ihren Urlaub woanders als im eigenen Land verbringen. Nur Geschäftsreisen sind unter strengen Auflagen noch gestattet. Reisende benötigen ein Gesundheitszertifikat, das nicht älter als eine Woche ist, und die Unternehmen, die ihre Mitarbeiter ins Ausland entsenden, müssen dies 14 Tage im Voraus bei der örtlichen Gesundheitsbehörde anmelden. Nach der Rückkehr der Mitarbeiter gehen diese jeweils 14 Tage in Quarantäne und dürfen erst dann wieder an ihren Arbeitsplatz. Vielen Unternehmen ist dies zu teuer, so dass in der Regel nur noch Videokonferenzen stattfinden.
Grenzgänger gibt es keine mehr. Wer in einem Land arbeiten will, muss dort seinen Wohnsitz haben. An den Grenzen sind große Verladezentren entstanden, wo der grenzüberschreitende Warenverkehr kontrolliert und auf landeseigene Fahrzeuge mit landeseigenem Personal umgeladen wird. Für das Durchqueren von Drittländern gibt es Transitstrecken, deren Verlassen streng verboten ist. Sie werden mit Drohnen aus der Luft überwacht. Das an den Transitstrecken arbeitende inländische Personal arbeitet mit Unterkunft vor Ort in Schichten von jeweils 90 Tagen, gefolgt von 14-tägiger häuslicher Quarantäne. Urlaubstage dürfen erst im Anschluss an die Quarantäne genommen werden. Aufgrund dieser Arbeitsbedingungen stellt man dafür nur unverheiratete, ungebundene oder verwitwete Personen ein, die dafür jedoch gut bezahlt werden.
Immobilienmakler und Bauunternehmen sind die Gewinner der Krise: Die Nachfrage nach dem Häuschen auf dem Land mit Garten oder Waldnähe ist enorm gestiegen, denn niemand möchte mehr in seiner Stadtwohnung ohne Balkon leben in Zeiten von Ausgangssperren.
Schulen können nur dann einen Präsenzbetrieb aufrecht erhalten, wenn monatlich aktualisierte Gesundheitszertifikate sowohl für die Schülerschaft sowie für die Lehrkräfte vorliegen. Um das Ansteckungsrisiko zu vermindern, gibt es nur noch gestaffelte Pausen, damit nicht alle im Pausenhof zusammenkommen. Die Putzkräfte desinfizieren nach dem Ende des Schultages gewissenhaft Tische, Stühle, Treppenhandläufe, Türklinken, Toiletten und Waschbecken. Die Gefahrenzulage macht diesen Arbeitsplatz gerade für Ungelernte attraktiv. Schließlich kann an Abschlussprüfungen nur noch teilnehmen, wer eine ausreichend starke Internetverbindung hat und sich an Prüfungsterminen jeweils ins Netz einwählt. Zuvor benötigt man einen Zugang mit Registrierungsnummer, in dem man bestätigt, dass man einen prüfungskonformen häuslichen Arbeitsplatz hat. Nicht in allen Familien mit schulpflichtigen Kindern ist es möglich, den Kindern das entsprechende Equipment für eine digitale Schullaufbahn und einen qualifizierten Schulabschluss zu ermöglichen. Die Gefahr der Übertragung unerwünschter Keime in Prüfungssälen wird aber von Virologen weltweit als zu hoch eingeschätzt.
Das Bild an den Hochschulen ist ähnlich. Die Schließung der Universitätsbibliotheken hat zu einer Digitalisierung der dort erhältlichen Werke geführt, längst ist diese aber noch nicht abgeschlossen. Studierende erhalten mit ihrer Immatrikulation einen Zugangscode zur jeweiligen Bibliothek und können über den Online-Katalog benötigte Werke einsehen, wenn das Netz nicht gerade überlastet ist. Die meisten Veranstaltungen finden online statt, auch Sprechstunden bei Dozenten. Studentische Austauschprogramme wie Erasmus sind untersagt.
Der internationale Austausch findet generell nur noch über Telefon und digitale Medien statt, da Reisen ins Ausland ohnehin nur noch beruflich möglich ist. Viele Menschen mit Migrationshintergrund haben sich entschlossen, das Land wieder zu verlassen, da z.B. ein in den Niederlanden arbeitender Schwede seine Eltern nicht mehr zu Weihnachten besuchen könnte. Für ein marokkanisch-deutsches Paar hieße das, sich für einen Standort zu entscheiden und auf einen Teil der Familie verzichten zu müssen. Die Umfragewerte der rechtsorientierten Parteien purzeln daher in den Keller, denn die bisherigen Forderungen, Migration zu begrenzen, weil sonst ein „Bevölkerungsaustausch“ stattfinde, sind mit den neuen Regelungen hinfällig.
Kulturveranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmern sind ebenfalls untersagt. Wer ein Konzert, ein Theaterstück, eine Vernissage, ein Ballett besuchen möchte, kauft sein Ticket namentlich und stimmt der Registrierung seiner Daten für ein halbes Jahr zu, damit eventuelle Ansteckungsketten rückverfolgt werden können. Festivals, Jahrmärkte, sportliche Wettkämpfe können unter den alten Bedingungen nicht mehr stattfinden. Museen limitieren ihre Besucherzahlen ja nach Größe, auch hier findet der Eintrittskartenverkauf nur noch namentlich und im Voraus statt, um Warteschlangen vor den Museen zu vermeiden. Da das private Reisen ins Ausland nicht mehr möglich ist, bieten der Louvre, der Prado oder das Guggenheim Museum bezahlpflichtige virtuelle Rundgänge an. Nicht immer schafft es das Netz, die vielen Online-Angebote reibungslos zu gewährleisten.
Es fehlt an allen Ecken und Enden an Informatikern und Technikern, damit die inzwischen explodierenden Angebote und Anforderungen für Firmen und private Nutzer zuverlässig ermöglicht werden können.
Unternehmensberater empfehlen Anlegern inzwischen, in Sanitärbedarf zu investieren, denn ganzjährig boomt das Geschäft mit Atemschutzmasken, Schutzbrillen, Kitteln und Handschuhen, Viele Länder gestatten den Schulunterricht ohnehin nur noch mit Masken, das Betreten von Lebensmittel- und anderem Einzelhandel ohne Maske und Handschuhe ist nicht gestattet, der Bedarf ist riesig. Friseure fordern ihre Kundschaft dazu auf, ebenfalls Masken zu tragen. Inzwischen hat sich eine neue Branche gegründet, die für das Recycling von Sanitär- und Hygieneartikeln zuständig ist, da der Rohstoffbedarf insbesondere für die Zellstoffprodukte enorm ist. Start-Ups in diesem Bereich können mit großzügiger Unterstützung ihrer jeweiligen Regierungen rechnen.
Menschen geben sich zur Begrüßung nicht mehr die Hand, keiner umarmt mehr den anderen, auch nicht in der Familie. Die meisten wechseln, sofern möglich, die Straßenseite, wenn sie zu Fuß unterwegs sind und ihnen jemand begegnet. Alle Sportarten, bei denen ein Sicherheitsabstand von einem Meter nicht gewährleistet werden kann, dürfen nicht ausgeübt werden, es sei denn, es handelt sich um Personen, die in häuslicher Gemeinschaft miteinander leben. Kampfsportvereine und die meisten Tanzschulen lösen sich nach und nach auf. Wo Menschen zusammenkommen, senkt man inzwischen in der Regel den Blick und vermeidet den Kontakt mit Unbekannten. Es laufen Studien, welche Langzeitauswirkungen auf die Entwicklung von Babys und Kleinkindern es hat, dass Eltern und andere Kontaktpersonen wie Erzieher, Großeltern, Tagesmütter und Kita-Personal nur noch mit Masken herumlaufen.

Aber Hauptsache, wir sind alle gesund!



Dienstag, 7. November 2017
Ménage à trois sans ménage
Am Fluss trafen wir uns
Die Sonne strahlte über unseren Köpfen
und auf unseren Gesichtern
Aus deinen dunklen Augen
blitzte der Schalk und der Übermut
Dein frecher Kuss
Der Beginn einer seltsamen Verbindung

Ich sehe uns im hohen Gras, weitab,
hinter zugezogenen Vorhängen,
bei Kerzenschein
Und dann im Nebelgrau auf dem Parkplatz
als wir Abschied nahmen
Als ich Abschied nahm
Weil ich dir nicht mein Herz schenken durfte

Zurück in deiner Zweisamkeit
die keine mehr ist
lässt du die Erinnerung an mich nicht los
Suchst meine Nähe
Erträgst es kaum, dass ich mein Herz
einem anderen schenke

Nimmst Anteil an meinem Kummer
Hörst zu, als meine Welt erschüttert wird
Fängst mich auf und gibst mir Halt
Sogar ganz fern von mir, wie ein Zauberer,
der Zeit und Raum überwindet
mit seinem magischen Ich

Nein, deine Gefangene bin ich nicht
Eher die Souffleuse im Theaterstück deines Lebens
Unsichtbar und doch unverzichtbar für dich

Nur den Regen in meiner Stimme
Den hörst du nicht.



Samstag, 15. Juli 2017
Ja, ich hab dich auch lieb...
Hustenanfall. Keuchen, weiterhusten.
Meine Tochter:
"Mama, krepier nicht. Du musst mein Studium bezahlen."



Dienstag, 11. Juli 2017
Narzissmus
Da tobt er wieder
der kleine Zornteufel
das unreife Kind
laut und rasend
ungerecht behandelt
völlig missverstanden
verkannt und verraten.

Da tobt er wieder
der verunsicherte Junge
der größenwahnsinnige
Mann
von 50 Jahren...



Sonntag, 28. Mai 2017
Fragen über Fragen
Fragezeichen -
Zeichen fragen
Zeigen Fragen
Fragen zeigen

Zeigen was?

Unverstandenes
Unverständliches

Verstand wird überbewertet.



Sonntag, 21. Mai 2017
Abschied
Herzzerreißend, schmerzvoll,
mit heißen Tränen,
geschüttelt und bebend,
qualvoll, wehmütig...
So fühlt sich Abschied an.

Mit knallenden Türen,
fliegenden Tellern,
bösen Worten, Wut, Ärger,
Vorwürfen, funkelnden Blicken...
So fühlt sich Abschied an.

Aus kalten Augen mit kühlen Blicken,
klaren Worten, unmissverständlich,
abgeklärte Gesten,
illusionslos...
So fühlt sich Abschied an.

Unbeantwortet, unerhört,
vergessen, ignoriert,
kalt, stumm, taub,
lähmend leise dahergeschlichen -
So fühlt sich Abschied an...